In was für einer Demokratie leben wir eigentlich?

von | 19.01.2023 | Aktuell, Rethink

Demokratie bezeichnet Herrschaftsformen, politische Ordnungen oder politische Systeme, in denen Macht und Regierung vom Volk ausgehen (Volksherrschaften). Im Grundgesetz heißt es entsprechend: Alle Macht geht vom Volke aus.

Dieses wird entweder unmittelbar (direkte Demokratie) oder durch Auswahl entscheidungstragender Repräsentanten (repräsentative Demokratie) an allen Entscheidungen, die die Allgemeinheit verbindlich betreffen, beteiligt.[1] In demokratischen Staaten und politischen Systemen geht die Regierung durch politische Wahlen aus dem Volk hervor. Die Macht wird somit faktisch vom Volk weggegeben und eben nicht von der Allgemeinheit ausgeübt. Die Meinungs- und Pressefreiheit zur politischen Willensbildung sind unerlässlich, aber faktisch nicht oder nicht mehr in der Form vorhanden, wie sie dazu erforderlich wären.

Weitere wichtige Merkmale einer modernen Demokratie sind freiegeheime und gleiche Wahlen, das Mehrheits– oder KonsensprinzipMinderheitenschutz, die Akzeptanz einer politischen OppositionGewaltenteilungVerfassungsmäßigkeit, sowie Schutz der Grund-Bürger- und Menschenrechte. Diese liberale Wertebasis, die als solche auch durch Mehrheitsentscheidung nicht antastbar ist, unterscheidet sie auch wesentlich von einer OchlokratieVolksrepublik oder Tyrannei der Mehrheit.

Und eben diese liberale Wertebasis ist uns in der Corona-Krise in bedeutenden Teilen abhandengekommen. Es gibt verschiedene Formen der Demokratiemessung. Nach dem Demokratieindex von 2021 leben rund 6,4 % der Weltbevölkerung in „vollständigen Demokratien“, 39,3 % in „unvollständigen Demokratien“, der Rest in teildemokratischen (teils autoritären) Systemen oder Autokratien. Es ist somit die absolute Ausnahme, in einer vollkommenen Demokratie leben zu können. Demokratie ist überhaupt nicht selbstverständlich, wie wir gerade erleben durften, wenn ein Land wie Deutschland formal zu den demokratischsten Ländern der Welt gezählt wird.

Demokratieindex des Economist von 2020:[36] je grüner, desto „demokratischer“, je roter, desto autoritärer ist der Staat

  Der einzelne Bürger ist somit theoretisch die Grundlage aller Macht im Lande, faktisch jedoch völlig macht-los. Diese Absurdität fällt den meisten Bürgern nur indirekt auf, indem sie sich fragen, warum sie überhaupt zu Wahlen gehen sollen, wenn sich doch ohnehin nichts ändert. Die Bürger haben sich damit arrangiert, dass „die da oben“ doch eh machen, „was sie wollen“. In der Democracy-App wird dieser Gegensatz besonders deutlich, weil Bürger hier über alle Themen, die auch im Bundestag zur Entscheidung anstehen, abstimmen können. Wille der Bürger und tatsächliche Entscheidungen in der Politik liegen regelmäßig weit auseinander. Gleichzeitig bleiben solche „Pseudo-Abstimmungen“ in der realen Politik-Welt folgenlos und werden schlichtweg nicht beachtet. Die Mächtigen scheinen Angst vor den Bürgern zu haben. Man hält die Masse, möglicherweise sogar zurecht, für unberechenbar und damit nicht beherrschbar. Es liegt somit im Interesse von Mächtigen – sprich den Besitzenden von Fabriken, Immobilien, Aktien, etc., dass die unkontrollierbaren Bürger möglichst wenig stören und trotzdem das Gefühl haben, als könnten sie irgendwie mitreden. Selbst im kommunalen Umfeld reibt man sich die Augen, wie es bloß möglich ist, dass Parteien und Repräsentanten selbst unmittelbar vor der Haustür so diametral anders entscheiden können, als es die Bürger selbst wünschen. Warum werden Neubaugebiete und Industrieansiedelungen durchgedrückt, die keiner der Bürger, die dort bereits leben, haben möchte? Es wäre wunderbar, wenn die Macht nicht bloß vom Volke ausgehen würde, sondern auch wirklich und tatsächlich in ihren Händen bliebe. Die Zeit dafür ist reif.  
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